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Von Bar zu Digital: Wie die Wiesner Gastronomie Trinkgelder neu definiert

GastroZürich Unterland
20.07.2024
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Am 1. Juli lud Gastro Zürcher Unterland zur Podiumsdiskussion mit Manuel Wiesner von der Familie Wiesner Gastronomie ein. Die Veranstaltung konzentrierte sich auf ein heiss diskutiertes Thema, das derzeit in der Gastronomiebranche für Aufsehen sorgt: die Versteuerung von Trinkgeldern in einer zunehmend bargeldlosen Ära.

Daniel und Manuel Wiesner führen die Fredy Wiesner Gastronomie AG (FWG) mit Innovationsgeist und Unternehmertum. Seit den 1990er Jahren eröffnete die Familie zahlreiche erfolgreiche Restaurants wie das Outback am Stadelhofen und das Nooch im Steinfelsareal. Ende 2023 führten sie in all ihren 31 Restaurants ausschliesslich bargeldloses Bezahlen ein. Dies stellte die Gastronomen jedoch vor eine unvorhergesehene Herausforderung im Umgang mit Trinkgeldern. Durch die digitale Zahlungsweise wird plötzlich sichtbar, was zuvor oft informell gehandhabt wurde.

Als Inhaber von über 30 Restaurants stand die Wiesner Familie vor der Herausforderung, den korrekten Umgang mit Trinkgeldern zu klären. Sie holten juristische Ratschläge ein und konsultierten die Behörden. Das Ergebnis war überraschend, doch das Gesetz ist eindeutig: Sobald Trinkgeld ein „wesentlicher“ Bestandteil des Lohns ist, muss es wie ein Lohnbestandteil behandelt werden. Als Faustregel gelten zehn Prozent des Lohns. Gerade in der Tieflohnbranche Gastronomie wird diese Grenze oft überschritten. In urbanen Gebieten machen Trinkgelder bis zu 30 Prozent des Lohns aus, schätzen Branchenexperten.

Gastrounternehmer Manuel Wiesner hält sich somit an die gesetzlichen Vorgaben, erklärt Thomas Geiser, emeritierter Professor für Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen. Er betont: „Die heutige Praxis ist eigentlich illegal. Sie hat sich entwickelt, weil man davon ausging, dass nur noch wenig Trinkgeld bezahlt wird. Doch das stimmt nicht mit der Realität überein. Trinkgelder sind weiterhin häufig.“

Dies erklärt auch, warum die Behörden bislang inaktiv blieben und Trinkgelder, solange sie bar gezahlt wurden, praktisch im Verborgenen blieben. Da sie in keiner Buchhaltung auftauchten, blieb die genaue Höhe oft unbekannt. Gastronomen und Gastronominnen, die trotz Kartenzahlungen weiterhin wegschauen, drohen bei Kontrollen erhebliche Nachzahlungen, erläutert Geiser: Sie müssen dann sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbeiträge zahlen, was mehr als zehn Prozent ihrer Lohnsumme ausmacht, und das rückwirkend für bis zu fünf Jahre.

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Der nun offiziell regulierte Umgang mit Trinkgeldern bringt weitreichende Konsequenzen mit sich. Trinkgelder müssen versteuert werden und erscheinen auf dem Lohnausweis. Zudem müssen sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge auf Trinkgelder entrichten. Die Veränderungen bergen auch Vorteile: Mitarbeitende sind besser versichert und verdienen auf Papier mehr Lohn, was sich vorteilhaft auf ihre Lebensumstände auswirken kann, z. B. bei der Beantragung von Krediten oder der Wohnungssuche. Die Mitarbeitenden der Fredy Wiesner Gastronomie haben die Umstellung allgemein positiv aufgenommen und sind zufrieden.

Trotz der rechtlichen Absicherung und der Vorteile stiess die neue Praxis nicht überall auf Zustimmung, besonders beim Gastronomieverband GastroSuisse. Der frisch gewählte Präsident, Beat Imhof, betont, dass viele Probleme in der Branche, wie der Fachkräftemangel, durch ein schlechtes Image verursacht werden. Ein formalisierter Umgang mit Trinkgeldern könnte diese Situation verschärfen. Trinkgelder sind für viele Angestellte im Gastgewerbe eine wichtige Motivation, um überhaupt in diese Branche einzusteigen, da sie die Herausforderungen wie unregelmässige Arbeitszeiten, niedrige Grundlöhne, körperliche Anstrengung und mitunter schwierige Interaktionen mit Gästen ausgleichen. Es wird befürchtet, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Versteuerung von Trinkgeldern die Attraktivität des Berufs weiter mindern könnte.

Wie sich die Zukunft der Trinkgeldversteuerung entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, dass sich Gastronomen dieser neuen Realität zunehmend stellen müssen. Die Branche muss Wege finden, trotz der Herausforderungen attraktiv für Mitarbeitende zu bleiben und den Fachkräftemangel zu bewältigen. Die Einführung einer legalen und transparenten Praxis könnte langfristig Vorteile bieten, doch es bedarf Anpassungen und Lösungen, um die Gastronomiebranche zukunftssicher zu gestalten.